Harry ist nicht Buffy

Harry Potter und Buffy Summers haben viel gemeinsam. Beide sind mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet und haben ihr Leben, mehr oder minder unfreiwillig, bereits im Teenie-Alter dem Krieg gegen das Böse gewidmet. Ihre Eltern sind tot (Harry) bzw. sterben (Buffy), beide haben enge Freunde, die ihr Dasein erträglich machen und sie in ihrem Kampf unterstützen. Sie opfern ihr eigenes Leben, um das Böse aufzuhalten, und - sie stehen wieder auf von den Toten. Die letzte Schlacht schlagen sie mit Legionen auf beiden Seiten. Treue Freunde sterben, doch sie gewinnen.
Warum also bleibt "Harry Potter" am Schluss ein phantasievolles, spannendes Kinderbuch - Hanni und Nanni im Zauberinternat - und "Buffy" ein Kunstwerk, das jeden, der einmal ernsthaft eingestiegen ist, ins Herz getroffen und seitdem nicht mehr losgelassen hat?
Der Schlüssel zu dieser Frage liegt im unterschiedlichen Umgang der Erzählungen mit den Themen Autorität und Sexualität.

Harry Potter orientiert sich im Leben und selbst noch darüber hinaus an der verehrten Leitfigur seines Schulleiters Dumbledore, an dessen Integrität zwar durchaus Zweifel gesät werden, der Harry im Ungewissen und damit in zusätzlicher tödlicher Gefahr lässt, der jedoch seine wenigen und weit zurückliegenden Fehler Zeit seines Lebens bereut und wiedergutzumachen sucht. Die Freunde und Mitstreiter, die sich zum Kampf gegen das Böse verschworen haben, nennen sich "Dumbledores Armee". Selbst nach dessen Tod bittet Harry Dumbledore noch um die Billigung seiner eigenen letzten Entscheidungen. Zu keinem Zeitpunkt begegnen sich Harry, der geschafft hat, was Dumbledore lebenslang vergeblich versuchte, und Dumbledore, der ewige Lehrmeister und Führer, auf Augenhöhe.
Buffy hat einen Wächter, Giles, der gleichzeitig Bibliothekar an ihrer Schule und ihr Ausbilder und Überwacher bei ihrer Tätigkeit als Jägerin ist. Im Verlauf der Erzählung kommt es mehrfach, und stets deutlicher, zu einer Krise zwischen Buffy und Giles, die zur fortschreitenden Abnabelung Buffys und schließlich zu ihrer ausdrücklichen Abkehr von den Bewertungen, Ratschlägen und Führungsansprüchen Giles' führt. Bereits im Vorfeld hatten sich sowohl Buffy als auch ihr Wächter von der Organisation, der er angehörte, dem Rat der Wächter, abgewandt. Buffy und Giles sind schließlich Vertraute und Kämpfer für die gemeinsame Sache; die Führung liegt in Buffys Händen: sie ist die Jägerin.

Was die Sexualität betrifft: sie kommt in "Harry Potter" nicht vor. Scheue Küsse auf Burgtürmen, unter großen Bäumen und in Mädchenzimmern markieren den Anfang einer jeden Beziehung, die später entweder auseinandergeht oder den zweiten Schritt vollzieht: heiraten und Kinder kriegen.
Buffy verliebt sich zunächst in einen Vampir, der eine Seele hat. Als sie zum ersten Mal miteinander schlafen, lässt die ekstatische Glückseligkeit aufgrund eines Fluches seine Bösartigkeit wieder erwachen. Obwohl sich beide aus tiefstem Herzen lieben, kann es für sie keine gemeinsame Zukunft geben. Buffy hat andere Freunde; schließlich, auf dem Tiefpunkt ihrer Depression, wieder zum Leben am Höllenschlund erweckt worden zu sein, eine Beziehung zu Spike, ihrem ehemaligen Erzfeind, einem Vampir, der nur durch einen Chip in seinem Hirn daran gehindert wird, Menschen abzuschlachten. Das Verhältnis ist auf Buffys Seite geprägt von sexueller Gier und Schuldgefühlen; ein Höhepunkt der Trostlosigkeit - und gleichzeitig ihr einziger Trost - sind die schnellen Ficks im Stehen in der Pause während Buffys Arbeit im Schnellimbiss (passende musikalische Untermalung: hier).
Buffys engste Freundin Willow, eine Hexe, ist kurz davor, in blinder Raserei die Welt zu zerstören, aus Wut und Trauer über den Tod ihrer Geliebten, die von einem gefühlsleeren StarWars-Fan erschossen wurde.
All diese Beziehungen und die identitätsstiftenden und -verändernden Entwicklungen, die von ihnen ausgelöst werden, sind der eigentliche Dreh- und Angelpunkt von "Buffy".
"Harry Potter" propagiert "Liebe" als Waffe gegen die allgegenwärtigen Dämonen.
"Buffy" weiß, dass "Liebe" nur ein Wort ist, dass es in Beziehungen, in tieferer Weise als im Krieg, um die Existenz geht. Und um den Trost, den wir einander geben können und der die Dämonen für eine kurze Zeit fernhalten kann.
Perdi - 20. Aug, 19:14

Juhuuuuu, du bist wieder da!!!

Zum Thema kann ich nichts sagen, da bin ich völlig unbedarft.
Habe nur den 1. Harry Potter mit meiner Enkelin im Kino gesehen.
(Ich weiß, eine Bildungslücke!!)

Schönen Abend noch, Säumchen!

honigsaum - 20. Aug, 19:29

Ja, ich bin zurück unter den Lebenden :-)!
Schön, wieder von dir zu hören, liebe Perdi, hoffentlich demnächst mehr!
Iggy - 24. Aug, 21:00

ich bin ja absoluter spike-fan, und das mit der seele habe ich sowieso nie verstanden. hat seele etwas mit gewissen zu tun? aber egal, ich fand die serie fantastisch, naturellemente die folgen, in denen spike mitspielte, das ist so ein herrlich ausbaufähiger charakter, während angel, na ja... darüber lässt sich streiten. aber wozu noch?
leider vermisste ich hinterher eine etwas eindeutigere aussage von joss whedon, aber das lag wohl daran, dass der kampf zwischen den angel- und den spikeanhängern mitlerweile eskaliert war und er keinem weh tun wollte.

über harry potter könnte ich ähnlich emotionales nicht sagen. das ist der unterschied. ;-))

honigsaum - 25. Aug, 12:25

Du sagst es! Und wenn Spike keine Seele hatte, wie konnte er sich dann schon in Buffy verlieben? Hab ich auch nie verstanden. Aber ich fand das Ende gut so, gut auch für Spike. Angel ist leider ein schrecklicher Langweiler, letzten Endes.
Dr.Lecter - 12. Nov, 14:55

Das ist hochinteressant und gut durchdacht was Du da geschrieben hast. Ich starte jährlich einen Buffy Marathon und bin momentan mal wieder in Staffel 3. Die Beziehung zu Angel steht kurz vor dem Aus und beiden wird das klar.
Interessant auch die Vorzeichen, bereits in Staffel 2 sitzen Buffy, Willow und Xander am Ende einer Episode da und lachen darüber das sie alle wohl nie eine funktionierende Beziehung führen werden.

Man kann der Serie Buffy viel unterstellen, keinesfalls jedoch schönt sie die dunklen Seiten des Lebens wie es viele andere Serien getan hätten und haben. Schonungslos wird hier mit den Themen Liebe, Verlust, Sucht und auch Hass umgegangen. Würde man die Serie um ihre phantastischen Elemente kürzen wäre der Erfolg vermutlich ausgeblieben. So muss sie sich leider immer mit dem Vorurteil der Fantasy auseinandersetzen.

honigsaum - 12. Nov, 15:14

Ich danke dir!
Ich denke, Fantasy oder Horror eröffnen zum einen viele Möglichkeiten, die andere Genres nicht bieten, zum anderen machen sie auch einfach Spaß (ein für mich unverzichtbarer Vorteil!). Deswegen bin ich sehr froh, dass die phantastischen Elemente nicht gekürzt worden sind... Und es stimmt übrigens, auch das Suchtthema wird drastisch und wahrhaftig gezeigt.

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